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Uwe hat Rücken: Wenn Schmerz zum Alltag wird

Symbolbild eines Mannes der bei einer Lagertätigkeit unter chronischen Rückenschmerzen leidet
Verfasser/-in
Marie Krauß
Veröffentlicht
June 26, 2025

Am nächsten Morgen kann Uwe sich kaum bewegen. Zum Ärger seines Chefs meldet er sich krank. Die kühle Reaktion seines Arbeitgebers trifft ihn mehr, als er es zugeben will. Wäre er doch besser gleich nach Hause gegangen! Der Orthopäde, zu dem er sich schleppt, veranlasst ein MRT – allerdings erst in vier Wochen.

Aus Angst um seinen Job kehrt Uwe bereits in der darauffolgenden Woche an den Arbeitsplatz zurück. Dabei weiß er genau, dass er seinen Rücken noch nicht voll belasten sollte. Doch was soll er machen? Zuhause erwarten ihn ebenfalls schwere Arbeiten, und im Betrieb will er sich keine Sprüche anhören müssen. Also beißt er die Zähne zusammen. Irgendwie schafft er es ja.

Als der Orthopäde ihm vier Wochen später erklärt, dass ein Schaden an der Bandscheibe vorliegt, aber noch kein Vorfall, atmet Uwe kurz auf. Er bekommt Physiotherapie verschrieben, doch der erste Termin ist erst drei Wochen später. In der Zwischenzeit informiert er sich im Internet und liest beunruhigende Dinge: Bandscheiben können platzen, wenn man sie zu sehr belastet. Das wirkt zwar übertrieben, doch sicherheitshalber meidet er schwere Belastungen – außer bei der Arbeit und beim Tragen schwerer Dinge.

Heute, ein Jahr später, sind die Schmerzen beim Arbeiten fast verschwunden. Doch sobald er nach Feierabend oder am Wochenende zur Ruhe kommt, beginnt es zu brennen: ein tiefes Ziehen von der Pobacke bis zum Fuß. Egal, wie er liegt oder sitzt – der Schmerz ist da. Er hat sich verändert, ist gewandert. Und das macht ihm Angst. Was, wenn das für immer so bleibt? Was, wenn die Schmerzen doch zurückkommen, auch bei der Arbeit? Gleichzeitig gibt es gute Tage – Momente, in denen er sich bewegt, abgelenkt ist und sich einfach gut fühlt. Doch nach dem Tod seines Vaters vor einigen Monaten haben die Schmerzen plötzlich wieder Fahrt aufgenommen. Er fühlt sich ausgeliefert, hilflos.

Die Physiotherapie war okay, aber mit sechs kurzen Terminen zu je 15-20 Minuten kaum ausreichend. Ein paar Übungen, etwas Massage – das war es. Was er noch tun könnte, weiß er nicht genau, also lässt er es lieber bleiben. Er funktioniert weiter, passt sich an, schont sich, um nicht auszufallen. Aber mit seinem Arbeitgeber, seinen Kolleg:innen oder seiner Familie spricht er nicht darüber.

Wenn Schmerz bleibt: Sensibilisierung des Nervensystems

Uwes Fall zeigt, was passiert, wenn Schmerz sich verselbständigt. Sein Nervensystem hat gelernt, harmlose Reize als Gefahr zu interpretieren. Was früher nur ein leichter Druck war, ist heute ein Alarmsignal. Die eigentliche Verletzung ist vermutlich verheilt, doch der Schmerz ist geblieben. Dieses Phänomen nennt sich zentrale Sensibilisierung: Das Gehirn feuert Schmerzsignale, selbst wenn keine akute Bedrohung mehr besteht.

Deshalb hat Uwe an Arbeitstagen oft weniger Schmerzen als am Wochenende. Ablenkung, Bewegung, soziale Interaktion – all das reduziert Schmerz. Doch sobald er zur Ruhe kommt, richtet das Gehirn die volle Aufmerksamkeit auf das Problem, wie eine Lupe, die alles verstärkt.

Uwe hat auch gelernt, dass Schmerz nicht beim Arbeiten sein darf, aber vermieden werden sollte, wenn er Freizeit hat. Nichts riskieren! 

Die Schmerzgesellschaft e.V. fasst es in ihrer Patienteninformation zu chronischen Schmerzen so zusammen: “Körperliche Schonung kann bei akuten Schmerzen hilfreich sein. Bei chronischen Schmerzen bringt Schonung mehr Schaden als Nutzen. Durch eine andauernde Schonhaltung kommt es zu Muskelverspannungen, Durchblutungsstörungen und einem generellen Abbau der Muskelkraft, was langfristig eine Verstärkung der Schmerzen zur Folge hat.”

Weiter hebt die Schmerzgesellschaft e.V. psychosoziale Aspekte hervor: “Das dauerhafte Vermeiden sozialer Aktivitäten begünstigt oder verstärkt eine depressive Stimmungslage, da Freude und Ablenkung fehlen. Besonders Angst vor „falschen“ Bewegungen, drohendem Leistungs- oder Arbeitsplatzverlust, finanziellen Einbußen und partnerschaftlichen Konflikten können den Teufelskreis verstärken.” 

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Uwe ist verunsichert, weil er seine Schmerzen nicht versteht. Er weiß nicht, was sie auslöst, warum sie mal besser und mal schlechter sind. Natürlich spielt mangelnde Bewegung eine Rolle, aber er beginnt zu erkennen, dass es mehr als das ist. Sein Schmerz ist nicht nur körperlich – er ist auch emotional und sozial geprägt. Das Gehirn verknüpft Schmerz mit Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen. Stress, Ängste oder seelische Belastungen können ihn verstärken. Der Schmerz ist kein unvermeidbares Schicksal – er wird durch viele Faktoren beeinflusst:

Schmerzverstärker und -senker

Bewegung:

  • Verstärker: Bewegungsmangel, Schonverhalten
  • Senker: Regelmäßige, angepasste Bewegung

Entspannung:

  • Verstärker: Langes Sitzen oder Liegen in ungünstigen Positionen
  • Senker: Sauna, Meditation, bewusste Entspannungsübungen

Gedanken:

  • Verstärker: Katastrophisieren („Was, wenn das nie besser wird?“)
  • Senker: Positive Erlebnisse, Hoffnung, Kontrolle über den Schmerz

Gefühle:

  • Verstärker: Angst, Wut, Hilflosigkeit
  • Senker: Freude, soziale Bindungen, Achtsamkeit

Therapie:

  • Verstärker: Unklare Diagnosen, lange Wartezeiten
  • Senker: Vertrauensvolle Therapiebeziehungen, klare Therapieansätze

Soziales Umfeld:

  • Verstärker: Stress, Konflikte, soziale Isolation
  • Senker: Gespräche mit Freund:innen, Unterstützung

Lebensstil:

  • Verstärker: Mangelnde Ernährung, wenig Flüssigkeit
  • Senker: Gesunde Ernährung, bewusstes Essverhalten

Achtsamkeit:

  • Verstärker: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
  • Senker: Selbstfürsorge, gezielte Entlastung

Jeder Mensch hat seine eigenen Schmerzverstärker und -senker. Hast du dich schon einmal gefragt, welche Faktoren deine Schmerzen beeinflussen? Wann geht es dir besser, wann schlechter?

Es hört sich banal an: Doch diese simple aber möglichst umfängliche Betrachtung dessen was dir gut tut und was dir nicht so gut tut, ist ein wichtiger Schritt für einen bewussten Umgang mit Schmerzen. Er bringt dich zudem zu einer zielführenden Selbstbeobachtung, weg von Grübeln und Katastrophisieren.

Schmerz ist nie nur körperlich – er ist immer biopsychosozial. Unser Erleben von Schmerzen wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst: von unseren Gedanken und Emotionen bis hin zu sozialen und beruflichen Herausforderungen. Stress, innere Anspannung oder ungelöste Konflikte können wie ein Verstärker wirken und Schmerzen intensiver erscheinen lassen, als sie es vielleicht körperlich sind. Umgekehrt können Sicherheit, Selbstwirksamkeit und positive Erlebnisse Schmerzen lindern.

Auch Uwe erlebt diese Dynamik tagtäglich: Wenn er mit Freund:innen unterwegs ist oder in etwas vertieft arbeitet, vergisst er den Schmerz oft für eine Weile. Doch wenn er zur Ruhe kommt oder ihn Sorgen einholen, meldet sich der Schmerz umso stärker zurück. Sein Körper hat nicht nur eine Verletzung hinter sich, sondern auch die Angst vor der nächsten. Diese Angst prägt seine Bewegungen, seine Entscheidungen und sogar sein Wohlbefinden.

Im nächsten Blogeintrag schauen wir uns genauer an, wie Stress Schmerzen verursachen oder verstärken kann und was du dagegen tun kannst. Sei also wieder mit am Start! 

Quelle:

Deutsche Schmerzgesellschaft (2021). Patienteninformation: Schmerzen verstehen; Akuter Schmerz - Chronischer Schmerz. Verfügbar unter:

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